Titel des Publikums: ASS

Gewinnertext der AllgäuSlam FlowerFightclub Vorrunde.

Bin ich eigentlich behindert?

Klar hab’ ich Beine, die funktionieren,
kann verständliche Geräusche generieren,
bin des Hörens und Sehens beschenkt,
und dennoch anders, als man vielleicht denkt.

Es ist nicht leicht, zu beschreiben, warum das so ist,
medizinisch ausgedrückt, nennt man mich Autist.
Was das jetzt heißt, ist zunächst schwer zu greifen,
aber ich steh’ nicht hier vorn, um jetzt zu kneifen.

Ich muss für weniger, immer mehr leisten,
aber irgendwie vermute ich, das denken die meisten.
Doch dürft ihr mir dies wirklich glauben,
in dieser Welt zu leben, wird mir immer Kraft rauben.

Denn: Ich sehe die Welt anders, aber wo ist das Problem?
Jeder darf doch die Welt auf seine Art sehen.
Nur impliziert dürfen, es sei Ansichtssache,
dass ich dies auf Basis von Freiwilligkeit mache.

Was ich vielleicht vermitteln kann, ist eine Idee,
davon wie ich diese Welt seh’.
Stellt euch vor, ihr seht einfach alles,
was offen gestanden, eine ständige Qual ist.

Jedes verdammte Detail will in mein Hirn,
alles, was ins Auge fällt, will hinter die Stirn.
euer Hirn wird das alles daher sortieren,
sonst könntet ihr auf Dauer so nicht funktionieren.

Bei mir aber fehlt dieser gesamte Prozess,
allein schon zu sehen, ist für mich ständiger Stress.
Es kommt nicht selten vor, dass ich mit mir diskutiere,
weil ich die daraus resultierende Erschöpfung nur schwer akzeptiere.

Fürs Hören gilt, gleich wie fürs Sehen,
ich kann Dinge wahrnehmen und sie verstehen.
Nein, ich muss, ganz ohne Entscheidung,
alternativ bleib eben oft nur die komplette Vermeidung.

Doch der Blick nur auf dies wäre defizitär,
Reizüberflutung ist zwar oft sehr primär,
doch schaff’ ich es doch, ich kompensiere,
in dem ich im Hirn aktiv konzentriert priorisiere.

Wenn ich dies übertreibe, wird es sich rächen,
dann kommt es mir vor, als würde ich brechen.
Tausend scharfe, schillernde Scherben,
Schmerz, der sich anfühlt, als würde ich sterben.

Was die häufigste Reaktion auf meine Selbstauskunft ist:
„Du siehst aber garnicht aus, wie ein Autist!“
Entgegen dieser oft geäußerten, mir kaum verständlichen Phrase,
verkünde ich: „Seht meine typisch autistische Nase.“

Außerdem habe ich autistische Zehen,
hervorragend geeignet um darauf autistisch zu stehen.
Des Weiteren habe ich autistische Fürze,
mit einer besonderen, autistischen Würze.

Auf Applaus warten.

Ach ne, warte, das sollte ich garnicht vorlesen,
das ist nur eine autistische Notiz an mich selbst gewesen.
Ich hab’ von jemandem ohne Autismus erfahren,
dass Autisten grundsätzlich diejenigen waren,
die prinzipiell alles wörtlich verstehen,
und dadurch einen Fopa nach dem anderen begehen.
Leider sind es immer die Notizen, die verloren gehen, die behaupten ich als Autist darf garnicht vor Publikum stehen.

Und hier stehe ich doch, vor diesem Publikum,
und hoffe, ich ernte nicht Spott, sondern Ruhm.
Aber letztlich kann ich mich auf Mitleid berufen,
der arme Autist, na ja, man kann’s ja mal versuchen.

Übrigens: nicht jede Autist:in steht auf Listen und Tabellen,
okay doch ich schon, aber ihr dürft jetzt nicht direkt ein Urteil fällen.
Manche stehen nämlich auf Tabellen und Statistik,
andere auf Masturbation, Forellen und Germanistik.

Der Kontakt zu mir ist, was den meisten genügt,
um einzusehen, dass der Schein trügt.
Ich bin eben kein Einzelgänger und an Kontakt interessiert,
nur zeige ich halt, was ich fühle, und das ungeniert.

Das bedeutet aber auch grundehrliche Sympathie,
dann wenn sie stimmt, die interpersonelle Chemie.
Ich bin außerdem meistens nicht wirklich schüchtern
charakterlich öfter emotional als nüchtern.
und für den wahrscheinlichen Fall, dass es mich etwas zu ordnen dränge,
das ist nicht exklusiv für Autismus, das nennt man Zwänge.
Übrigens fand Hans Asperger, Autisten hätten keinen Humor,
dass er nicht lustig sein könnte, kam in seiner Welt garnicht vor.

Ich bin so froh, dass ich so bin, wie ich bin,
anders sein zu wollen, ergäbe für mich keinen Sinn.
Könntet ihr die Welt aus meinen Augen sehen,
würdet ihr das vielleicht auch verstehen.

Es gibt oft Dinge, die meine Teilhabe verhindern,
diese Dinge sind es, die mich behindern.
Wer sich also an meine Frage vom Anfang erinnert:
Ich bin’s eben nicht einfach von selbst, ich werde behindert.

So viele Dinge gäbe es zu sagen,
so viele Antworten auf so wenige Fragen.
Ich muss mich leider damit begnügen,
meiner Sozialphobie und mir war es ein Vergnügen.

PS: Frage an das Autist:innen hassende Impfgegner-Gremium:
Wenn ich’s schon davor hatte, bekomme ich jetzt Autismus Plus oder Premium?